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Soziokulturelle Voraussetzungen von Recht, Staat und Demokratie

Seminarankündigung
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Foto: Peter Schere

Im kommenden Sommersemester 2026 werde ich ein Seminar zum Thema:

Soziokulturelle Voraussetzungen von Recht, Staat und Demokratie

anbieten.

Wie alle Systeme leben auch Recht, Staat und Demokratie von Voraussetzungen, die sie nicht selbst garantieren können. Sie sind angewiesen auf ihnen günstige Bedingungen, die ihrer Er­haltung und Entwicklung zuträglich sind. Das Seminar verfolgt die Zielsetzung, ent­sprechende Bedingungsverhältnisse für das Gelingen normativer Ordnungsentwürfe namen­haft zu machen. Aus der Evolutionstheorie ist die Verknüpfung von Variation und Selektion bekannt; hier spielt u.a. die Anpassungsfähigkeit an Umweltbedingungen eine maßgebliche Rolle. Zu dem breiten Spektrum der soziokulturellen Voraussetzungen sozialer Systeme ge­hören nicht zuletzt die Verfügbarkeit entsprechender Kommunikationsmedien und ‑foren, politisch entgegenkommende Moralvorstellungen, normative Gewohnheiten und religiöse Traditionen, institutionelle und gesellschaftliche Strukturen sowie mentale Dispositionen.

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieses berühmte sog. Böckenförde-Diktum hatte die Pointe, dass die Freiheitlichkeit eines Systems nicht garantiert werden kann, ohne die Freiheit selbst zu gefährden oder sogar zu zerstören. Hierbei handelt es sich um eine sehr spezifische Überlegung, die den freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat daran hindert, seine eigenen Erhaltungsbedingungen nach Art totalitärer Systeme zu erzwingen. Das liefert Maßgaben etwa für Demokratiefördergesetze, wie sie derzeit auf der politischen Agenda stehen. Auch die staatliche Einflussnahme auf das Erziehungssystem, die Zivilgesellschaft und die religiöse Landschaft erfahren von hierher eine deutliche Begrenzung.

Das Seminar widmet sich damit Spannungsverhältnissen zwischen Positionen des Indivi­dualismus einerseits und Gemeinschafts- respektive Gemeinwohlerfordernissen andererseits. Eine weitreichende Demokratisierung vermag liberale Grundelemente zu unterminieren, un­ge­zügelte libertäre Strömungen hingegen die Legitimität demokratischer Mehrheitsent­schei­dungen zu unterlaufen. Welche Optionen hat dabei der freiheitlich-demokratische Verfassungs­staat, sich selbst und das Vorfeld seiner eigenen Voraussetzungen unter Stabilitäts­gesichtspunkten zu organisieren? Die Generierung und der Erhalt von politischem Vertrauen dürften hierbei eine zentrale Rolle spielen. Auch die Output-Orientierung staatlicher Legitimation verdient Beachtung. Ebenso stellen sich eine Reihe von Fragen, die die Ab­hängig­keit des Staates von Dispositionen seiner Bürger betreffen, insbesondere im Hinblick auf deren bürgerschaftliches Engagement sowie (Verfassungs)Patriotismus – einschließlich deren mediale Beeinflussung durch fake news oder (ausländische) „Propaganda“.

Ideengeschichtlich reicht der Arm dieser Überlegungen weit und deutet auf unterschiedliche Theorie­traditionen hin. Bereits Hegel hat die Bedeutung von Institutionen für den Erfolg politisch-rechtlicher Ordnungsbildung herausgearbeitet. Auch die maßgeblich von Habermas ge­prägte Theorielinie der deliberativen Demokratie und diskursiven Legitimation des Rechts setzt auf eine „entgegenkommende Lebensform“, die bei der Frage, ob sich Akteure überhaupt in einen legitimationsstiftenden Diskurs begeben, mitgedacht werden muss. Eine Diskurs­theorie, die vom Prinzip des „zwanglosen Zwangs des besseren Arguments“ zehrt, droht dem­nach an ihre Grenzen zu stoßen, wenn sie in Zeiten offener Demokratiefeindschaft von Voraus­setzungen zu leben scheint, die sie selbst im Zweifel nicht erzwingen kann. Eine stärker an Hegel orientierte Ausprägung dieser Intuition wurde in jüngerer Zeit von Honneth aufge­griffen, indem er in bestehenden gesellschaftlichen Institutionen – und da insbesondere der Organisation der Arbeit – Formen der intersubjektiven Vergesellschaftung vorfindet, die das Potenzial bergen, unter Anleitung eines normativen Ideals in einer Weise organisiert zu werden, die jenes Bewusstsein der reziproken Abhängigkeit der Menschen herzustellen ver­mag, welches einen Grundpfeiler der demokratischen Lebensform darstellt.

Die Veranstaltung ist als Blockseminar konzipiert. Zudem werden im Laufe des Semesters an ein­zelnen Terminen ausgewählte Primär- wie Sekundärtexte zum Seminarthema gelesen und diskutiert. Das Seminar ist sowohl als Übungs-, als auch als Examensseminar angedacht und ist offen für Studierende der Schwerpunkte 1, 7 und 8. Literaturhinweise, Terminfindung und thematische Orientierung erfolgen in einer Vorbesprechung, welche am 9. April 2026 um 16:00 Uhr (Raum folgt) stattfindet.

Bei Interesse melden Sie sich bitte per E-Mail an die Adresse tim.niendorf@uni-jena.de sowie über Friedolin für die Veranstaltung an. Die Anmeldung für die Wissenschaftlichen Examens­seminararbeiten muss bis zum 28. Februar 2026 erfolgen, die Anmeldung für Übungs­seminararbeiten ist auch nach diesem Termin möglich. Studierende, welche planen, ihre Wissenschaftliche Examensseminararbeit in diesem Seminar zu erbringen, melden sich bitte zudem zum gleichnamigen Examens-Externer Link und ÜbungsseminarExterner Link auf Friedolin an.